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Neue Prinzipalien von Jörg Bach

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Kunstzeit in der Predigerkirche

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Franz Bernhard: Was ist der Mensch

Herzlich Willkommen zur Kunstzeit 2009 in der Predigerkirche, die die Frage des 8. Psalms leitet: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ Dieser Frage stellt sich ein ganzes künstlerisches Leben lang der Bildhauer Professor Franz Bernhard, langjähriger Leiter des Künstlerbundes Baden-Württemberg. Fünf Kunstwerke von ihm waren vom 25. Oktober bis zum 22. November in unserer Kirche zu Gast.

1. WV 332, Liegende mit weißem Kopf, 1993, Holz-Eisen, 29x180x36 cm
2. WV 243, Männliche Form, 1982, Bronze, 233x72x100 cm
3. WV 245, Weibliche Form, 1982, Bronze, 208x63x72 cm
4. WV 258, Geschützter Kopf, 1984, Holz-Eisen, 45x50x50 cm
5. WV 271, Kopf, 1986, Holz-Eisen, 72x35x40 cm

Aus der Predigt anlässlich des Gottesdienstes zur Eröffnung der Ausstellung am 25. Oktober:

Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? Mit dieser Leitfrage wendet sich der Psalmist an Gott, das Geschöpf zu seinem Schöpfer inmitten eines Lobpreises der Schöpfung. Was ist der Mensch? So fragt der Mensch – solange er sich in seinem Sein nicht für selbstverständlich hält und also ist diese Frage wohl zunächst ein Ausdruck einer bewussten Wahrnehmung und zugleich ein Wissen darum, dass sich das eigene menschliche Sein immer in Beziehungen konstituiert. Denn warum sonst sollte man eine Frage an jemanden richten, wenn man nicht mit der Möglichkeit des Gegenübers rechnet. Sonst bliebe man dann doch eher fraglos auf sich allein gestellt. Und wer ohne Fragen lebt, verharrt in der Selbstverständlichkeit. …
Franz Bernhard, von dem wir in den nächsten Wochen fünf Arbeiten hier in unserer Kirche zu Gast haben, empfindet die Suche nach dem Wesentlichen des Menschen gewissermaßen als Urtrieb seiner künstlerischen Arbeit. Er weiß um den theologischen Charakter dieser Arbeit und legt doch zugleich größten Wert auf die Autonomie seines Schaffens. Seine Skulpturen und Güsse werden in ihrer Formgebung unweigerlich als Darstellungen des Menschen bzw. einzelner Körperteile wahrgenommen. So sehen wir hier in der Mitte unserer Kirche eine weibliche und eine männliche Form, im Chor eine Liegende, der Kanzel gegenüber vor dem Thomasaltar einen Kopf sowie im Psallierchor in der genauen Mitte des 7/12 Schlusses noch einen Kopf. „Der Mensch ist Ausgangspunkt, Stimulans und Ziel meiner Arbeit.“ so Bernhard in der Einleitung zu seinem Werkverzeichnis. Und weiter: „Ich strebe kein naturgetreues Abbild an, sondern etwas wie ein anthropomorphes Zeichen.“ Mit Hilfe von Zeichen also will sich Bernhard dem Wesentlichen des Menschen nähern. Und das nun schon seit vielen Jahrzehnten. Als ich ihn kurz nach seinem 70. Geburtstag vor 5 Jahren zum ersten Mal besuchte, sagte er mir – wir standen gerade inmitten etlicher halbfertiger Arbeiten im Atelier – Herr Keinath, ich stehe am Anfang meiner Arbeit. Wer das künstlerische Werk von Bernhard kennt, der ist beeindruckt von der Konsequenz seines Stils, einer fast archaisch wirkenden Abstraktion eines Themas, des Menschen, von der Treue zu seinen Materialien Holz und Eisen, von der Bescheidenheit und Ernsthaftigkeit seines Auftritts, ist aber auch beeindruckt von dem künstlerischen Selbstverständnis eines selbsternannten Anfängers. Franz Bernhard hat höchste künstlerische Meriten erworben, hat sich längst als einer der wichtigsten deutschen Bildhauer unserer Zeit durchgesetzt, und doch ist die Suche nach dem Wesentlichen des Menschen mehr denn je die treibende Kraft seines Schaffens. Unsere hier zu sehenden Arbeiten entstammen einem Zeitraum von 11 Jahren, angefangen bei den Bronzegüssen von 1982, die jedoch ungebrochen auch in seine künstlerische Arbeit des Jahres 2009 passen. Zwei große Ausstellungen in diesem Jahr in Kaiserslautern und in Neu-Ulm haben dies unzweifelhaft veranschaulicht. Drei Arbeiten, die Liegende und die beiden Köpfe kamen gewissermaßen direkt von diesen Ausstellungen nun zu uns in eine Kirche und kommen damit selbstverständlich auch in einen gänzlich verschiedenen Raumzusammenhang, gewinnen damit auch einmal mehr einen neuen Anfang der Wahrnehmung.
Der geschützte Kopf drüben in der Thomaskapelle verbindet auf klassische Art die beiden grundlegenden Materialen der Bernhard‘schen Formgebung, Holz und Eisen. Das Holz wird verzapft und verleimt, als junges Holz verarbeitet, gesägt und gefeilt, mit Essig, Holzbeizen oder Erde gealtert und einander angeglichen und mit dem Eisen verbunden. Das an sich weiche organische Material tritt in einer gewissermaßen unauflösliche Verbindung mit dem anorganischen und festen des Eisens. In der Verbindung dieses dortigen Kopfes als Schutz. Die Frage, was uns schützt, stellt sich unweigerlich ein, die Frage, was sich in unserem Kopf zusammensetzt. Als autonomes Zeichen tritt der geschützte Kopf dem Achert‘schen Thomasaltar gegenüber und damit einem Bildbekenntnis. In des Thomas Kopf ist das geistgewirkte Licht des Glaubens, geschützt durch die Heilstat Christi.
Der Kopf im Psallierchor steht im Schnittpunkt des verwaisten Mönchsgestühls. Für die nächsten vier Wochen belebt er diesen perspektivisch und akustisch ganz besonderen Raum. Er lenkt unseren Blick zu ihm hinunter, im Gegensatz zur aufstrebenden Architektur und Stuckatur, er lässt uns aufhorchen am akustisch empfindlichsten Ort der ganzen Kirche. Er steht wie ein Platzhalter und vertritt uns.
Die Liegende im Chor lässt verschiedene Assoziationen aufkeimen, vom Ort der demütigen Lebensübergabe in der Profess vor dem Hochaltar bis hin zum besonderen Bestattungsort der Prioren unweit des Altars. Ihr Kopf ist weiß getüncht. Freilich auch ein Zeichen. Nicht eindimensional zu instrumentalisieren, vielmehr polyvalent, mehrdeutig und offen für den je anderen individuellen Bezug.
Schließlich die beiden, Mann und Frau, in schwarzem Guss als Gegensatz zu den weißen gefassten Ganzkörperfiguren an den Seitenaltären und am Hochaltar. Sie stehen in einem engen Bezug zueinander, sie gehören zusammen und doch stehen sie jetzt auch in einem Verhältnis zu den barocken Figuren unserer Altäre. Ursprünglich gab waren auch im Hochaltar noch zwei weitere lebensgroße weiße Ganzkörperfiguren vertreten, Dominikus und Katharina von Siena, jeweils auf den Absätzen, neben Petrus und Paulus. Nachdem die Katharina auf rätselhafte Art und Weise abhanden gekommen ist, wurde die Dominikusfigur in die Sakristei gestellt und seitdem die Leerstellen ohne Ersatz belassen. Ich will nun nicht die beiden Bernhard’schen Figuren taufen, gar auf die Namen Dominikus und Katharina, und doch weisen sie uns nicht zuletzt auch auf die Leerstellen im Hochaltar hin und regen dazu an, während dieser Ausstellungszeit und darüber hinaus danach zu suchen, wo unser jeweiliger Platz auch in dieser Kirche ist, als Mann und Frau. Wo stehen wir und welche Position nehmen wir ein? Wir, die wir wenig niedriger gemacht sind. Wie sieht sie aus, unsere Idee des Menschen? Welches Zeichen geben wir?
Zu Beginn unserer Gedanken haben wir uns erinnert, wie sehr der Psalmist mit seiner Frage an den Schöpfer einerseits zu einer bewussteren Wahrnehmung seiner selbst kommt und andererseits erkennt, wie er zur Erkenntnis seiner Selbst auf Beziehungen angewiesen ist. Die Arbeiten von Franz Bernhard unterstreichen diese Erinnerungen und laden uns ihrerseits ein, wieder neu zu fragen und uns neu zu besinnen. Sie sind insofern überaus positive und konstruktive Beiträge zur Frage „Was ist der Mensch?“ Sie transportieren keinen plakativen Inhalt, wohl aber eine über sich hinaus weisende Form. Sie verweisen uns auf uns selber, auf den Raum um sie und uns. Dieser spezielle Raum hier, unsere Kirche jedoch, ist gefüllt von der Frage des Menschen nach Gott, gefüllt von dem Lobpreis heute des 8. Psalms. Mit dieser Fülle unseres Glaubens befinden wir uns in einem Raum des Suchens und Fragens, der uns zur Unterbrechung des Alltäglichen ermutigt, um hier für uns als ganze Menschen aufzutanken. Albertus Magnus, dem Begleiter hier an der Seite der männlichen Form, wies wegweisend für das Mittelalter und bis heute darauf hin, dass es um Geist, Seele und Leib des Menschen geht, wenn wir nach dem Menschen fragen. Und auf der anderen Seite ist Heinrich Seuse, an der Seite der weiblichen Figur, ein großer Zeuge für die wesentliche Beziehung unseres Menschseins. Mit seinem auf die Brust gravierten Jesus Hominum Salvator. Inhalte und Formzeichen, die Besinnung auf das Menschliche als Suche nach der Idee des Menschen war zu allen Zeiten in Kirche und Kunst ein Stimulans des Lebens. Lassen wir uns davon weiter stimulieren, von den Arbeiten Franz Bernhards im Zusammenhang unserer Kirche, auf dass wir die Frage „Was ist der Mensch?“ als unsere begreifen und erkennen, dass wir sie bleibend zu stellen haben, eingebunden in den Lobpreis dessen, der uns erschaffen hat. Amen.

Gebet beim
Eröffnungsgottesdienst:

Herr, unser Gott, dass du dich unser annimmst, dass du unser gedenkst, das ist unser Trost, unsere Stärke, unsere Weisheit. Du begleitest unser Leben zwischen gestern und morgen, zwischen hier und dort. Das hast du uns versprochen und das lässt du uns erkennen, auch und gerade in Skulpturen und Zeichen, die uns zur bewussten Wahrnehmung auffordern. Wir danken dir, dass du Menschen die Schöpferkraft schenkst, solche Bildwerke zu gestalten.
Wir bitten dich in diesem Gottesdienst einmal für Künstlerinnen und Künstler, für die, die die bildende Kunst lehren, und für die, die sie vermitteln und mit ihrem kunstgeschichtlichen Sachverstand orientieren. Du weißt um ihre Sehnsüchte und Ängste, ihre Empfindlichkeiten und Hoffnungen, um die Risiken künstlerischer Existenz und um die Resonanz, die sie sehr verschieden erfahren. Du weißt, dass die allermeisten nicht um eines gesellschaftlichen Renommees willen oder um eines materiellen Sonderstatus auf dem Kunstmarkt willen arbeiten, sondern dass sie nicht anders können, als ihren Ideen verpflichtet einen adäquaten künstlerischen Ausdruck zu gestalten. Lass sie uns darin ernsthaft wahrnehmen und uns dort, wo wir es vermögen, gute Gastgeber sein, die offen sind für das Gespräch und die Räume der Begegnung mit der Kunst würdigen. Amen.
Pfarrer Marcus Keinath, Evangelische Kirchengemeinde Rottweil

Einladungskarte zur Ausstellung Was ist der Mensch? [478 KB]