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Die Geschichte der Predigerkirche




Von den Anfängen


Als Hort des „wahren“ Glaubens wird die Predigerkirche vor allem durch drei Daten markiert: in der zeitlichen Rückschau zunächst durch das schlimme Kriegsjahr 1643 mit dem Rettungszeichen des Wunders von der Augenwende, zuvor das Jahr der „gescheiterten“ Reformation 1529 sowie ganz zu Beginn das Jahr der Grundsteinlegung 1268.

Anfang des 13. Jahrhunderts trat zunächst in Südfrankreich ein glühender Verteidiger des „wahren“ Glaubens in den Lauf der hochmittelalterlichen Kirchengeschichte, Dominikus. Wer war dieser dem „Herrn Gehörende“? Das Bild vom Rottweiler Dominikusaltar zeigt den Heiligen im Habit des Predigerordens. Sich überhaupt ein Bild von Dominikus zu machen ist nicht einfach, weil es von ihm selber so gut wie keine schriftlichen Zeugnisse gibt. So ist von ihm, dem Begründer des Ordens der Prediger, keine einzige Predigt überliefert, auch kein Gebet oder Lied, keine Regel oder ein Testament. Dieser Befund wirft ein besonderes Licht auf Dominikus, dessen Leben und Werk ja keineswegs im Schatten geblieben ist. Der Gründer des Predigerordens, dem sich später überaus wichtige Lehrer des Mittelalters anschlossen, allen voran Albertus Magnus und Thomas von Aquin, aber auch Mystiker wie Meister Eckhard, Heinrich Seuse oder Johannes Tauler, der Autor der Legenda Aurea, Jakobus de Voragine, später große Gegner Luthers wie Johann Tetzel oder Thomas Cajetan, dieser große Mann der Kirchengeschichte legte wohl besonderen Wert darauf, dass sein Werk – das Werk des Predigens – nicht vom Interesse an seiner Person überdeckt wird. Zeugnisse seiner ersten Mitbrüder dokumentieren sein Selbstverständnis, das ganz auf das aktive Reden mit oder über Gott zielte. Welches Bild dadurch ihn als Person mit seinen Verdiensten und seinem Namen wiedergab, war ihm offensichtlich nicht nur egal, sondern schon als Frage unlieb. Er sollte nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, sondern die Verkündigung des Wortes Gottes. Und diese umso mehr, als nun zu Lebzeiten des Dominikus durch die sog. Katharer (= die „reinen“ Christen) eine strikt dualistische Weltsicht mit der Lehre der Kirche konkurrierte. Mit der Hochschätzung des Johannesevangeliums teilten die Katharer die Welt in Licht und Finsternis, in gut und böse ein, wobei dies im Blick auf das biblische Zeugnis vor allem auf Kosten des Alten Testaments geschah und hinsichtlich der Kirche eine klare Absage an deren Organisation und Lehre. Für die römisch-katholische Kirche bedeutete die bald entstandene katharische Parallelstruktur eine ernsthafte Bedrohung, der nicht nur mit den Mitteln der Inquisition oder gar mit einem 20-jährigen Kreuzzug (ab 1209) begegnet werden sollte, sondern – und das ist nun insbesondere die Leistung des Heiligen Dominikus – mit einer verstärkten Konzentration auf Predigt und Seelsorge. Die Brüder des Ordo Praedicatorum sollten mit universitärer Qualifikation eine neue Predigtkultur verbreiten, die die Menschen anzieht und mindestens so sehr anspricht wie die „ketzerischen“ Reden der Katharer. 1215 wurde die neue Predigermeinschaft vom Papst approbiert und bald darauf begann eine überaus erfolgreiche Reihe von Klostergründungen in Süd- und Mitteleuropa. Nachdem die ersten Niederlassungen in Esslingen, Freiburg, Konstanz oder Zürich bereits zu beginnenden Klosterbauten führten, dauerte es in Rottweil bis in die 60er Jahre. Der wohl bedeutenste deutschsprachige Dominikaner jener Zeit, Albert von Lauingen, war im Frühjahr 1268 auf dem Weg nach Esslingen, wo die dortige Dominikanerkirche am 29. April geweiht werden sollte, als ihn zuvor seine Reise von Straßburg her nach Rottweil führte. Mit dem Datum vom 25. April 1268 hat er einen Ablass angekündigt, der allen zugute kommt, die an bestimmten Feiertagen nach dem Empfang der Sakramente den Bau der Rottweiler Dominikanerkirche förderten. Albert der Große verweist in diesem Schreiben zudem darauf, dass die hiesigen Brüder bereits mit dem Bau einer Kirche begonnen hätten, so dass es durchaus Grund zu der später gern tradierten Annahme gibt, dass Albertus Magnus damals auch den Grundstein für die Rottweiler Dominikanerkirche legte.
Begonnen wurde der Bau ziemlich sicher mit der Sakristei, um sobald als möglich dort Gottesdienste und Stundengebete feiern zu können. Glücklicherweise ist die gotische Raumschale der Sakristei nach wie vor in ihrer urspünglichen architektonischen Gestalt erhalten geblieben. Ein Wandfresko lässt sich wohl als Stifterbild interpretieren, doch aufgrund der schmalen urkundlichen Basis sowie angesichts des in großen Teilen verblichenen Wandbildes lässt sich keine sichere Zuschreibung des Stifterbildes mehr vornehmen. Es bleibt der faszinierende Raumeindruck durch das gotische Kreuzrippengewölbe.

Ein beeindruckendes architektonisches Zeugnis für den ersten gotischen Kirchenbau Rottweils legt bis heute zumindest in der Außenansicht auch der Chorraum ab mit seinem Sieben/Zwölftel-Chorschluss und den hochaufragenden Fenstern. Im Innenraum erinnert ein Auschnitt aus einem Passionszyklus an der Nordwand des Psallierchores an die urspüngliche Bemalung. Klar zu erkennen ist über der Tür zur Sakristei die Gethsemane-Szene mit den schlafenden Jüngern und dem Mantel des betenden Jesus. Die Nische, vor dem einst das Sakramentshaus stand, hat über all die Jahrhunderte gotische Portraits der Heiligen Petrus Martyr und Dominikus farbenkräftig erhalten. Petrus von Verona, ein Dominikaner in der ersten Hälfte des 13. Jahunderts, erlitt im Kampf gegen die Katharer ein grausames Schicksal, indem er am 6. April 1252 bei einem Angriff durch einen Schwerthieb auf die Stirn zu Tode kam. Das Bild könnte wohl schon gut drei Jahrzehnte nach seinem Martyrium entstanden sein. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts jedenfalls war die Ausstattung der Kirche weitgehend abgeschlossen. Für das Jahr 1324 werden eine Kanzel und ein Michaelsaltar aufgeführt, später ein südlicher Seitenaltar am Lettner, der Johannes dem Täufer geweiht war. Es ist anzunehmen, dass jedoch auch weitere Altäre schon zu dieser Zeit errichtet werden konnten, z.B. für die Heilige Katharina, die Heilige Ursula, aber vor allem auch ein Marienaltar.
(Hecht, Winfried, Das Dominikanerkloster Rottweil 1266-1802, Rottweil 1991, S. 39)
Für die Marienverehrung nicht nur der Dominikaner sondern aller Rottweiler sollte die Klosterkirche am nördlichen Rand der mittelalterlichen Stadt zum Mittelpunkt werden. In der Dominikanerkirche fand zunächst die Rosenkranzbruderschaft, die besonders intensiv die Marienverehrung pflegte, ihre kirchliche Beheimatung. Die Entwicklung der Rosenkranzfrömmigkeit allgemein ist einigermaßen legendenumwoben und ihre Rottweiler Anfänge speziell „liegen im Dunkeln“ (a.a.O. S. 71). Doch wurde den Dominikanern spätestens seit Alanus de Rupe eine ganz besondere Wertschätzung des Rosenkranzes zugeschrieben. Der Dominikaner Alanus hatte sich aufgrund einer Marien-Vision der Marienverehrung verschrieben und einen Marienpsalter verfasst. Dadurch sollten die 150 biblischen Psalmen gleichsam durch 150 Mariengrußgebete (Ave Maria) ersetzt werden und es vor allem Laien ermöglicht werden, durch dieses stellvertretende Gebet den biblischen Psalter vor Gott zu bringen. Der von Alanus verbreiteten Legende nach soll dieser Marienpsalter in der symbolisierenden Form des Rosenkranzes dem Ordensgründer Dominikus direkt von Maria übergeben worden sein. Möglicherweise wurde die spätgotische Madonnenfigur für den Altar der Rottweiler Rosenkranzbruderschaft angeschafft, so dass man vom ungefähren Entstehungsdatum der Skupltur (um 1520) auch auf die erste Blüte dieser neuen Volksfrömmigkeit schließen könnte. Wenn dem so gewesen war, dann allerdings gab es in Rottweil bald ein höchst interessantes Zusammentreffen mit den neuen reformatorischen Ideen eines Huldrich Zwingli bzw. eines Martin Luther. Und in dieser Auseinandersetzung nahmen die Brüder vom hiesigen Dominikanerkonvent eine sehr klare Stellung ein.




"Die gescheiterte Reformation"


Unter diesem Titel stellte im Rahmen der Feierlichkeiten zum Abschluss der letzten großen Kirchenrenovierung der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Martin Brecht am 5. März 1974 die Ereignisse dar, die im Sommer 1529 ihren Höhepunkt fanden. (Siehe: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 75. Jg, Stuttgart 1975, S. 5-22) Bis dahin nämlich spitzte sich das Ringen um das richtige konfessionelle Bekenntnis in der Stadt zu, das nur drei Jahre vorher in einzelnen Hausgemeinschaften begonnen hatte. Anders als etwa in Reutlingen, Konstanz oder Zürich gab es in Rottweil keinen namhaften theologischen Anführer der reformatorischen Überzeugungen, keinen Matthäus Alber, Ambrosius Blarer oder Huldrich Zwingli, sondern wohl hauptsächlich den Stadtarzt Valerius Anshelm, der aus Bern kommend, ein inzwischen überzeugter Anhänger der reformatorischen Lehre war. Anshelm war zwar ein gebürtiger Rottweiler, verließ aber zum Studium die Stadt - er studierte in Krakau, Basel, Tübingen und Lyon - und trat dann 1505 in Bern eine Stelle als Lehrer an. Dort bekam er in den 20er Jahren erhebliche Schwierigkeiten, weil seine Frau den Zölibat sowie das Gebet zur Jungfrau Maria kritisiert hatte. Noch war Bern nicht reformiert, so dass sich Anshelm auf einen Wechsel in seine Heimatstadt besann. Hier in Rottweil erhielt er 1525 einen auf acht Jahre laufenden Vertrag als Stadtarzt, den er freilich nur drei Jahre erfüllen durfte, ehe er wieder zurück ins zwischenzeitlich reformierte Bern flüchten musste, wo er anschließend als städtischer Chronist eines der beeindruckensten spätmittelalterlichen Stadtgeschichtswerke schrieb.
Für Anshelm persönlich fügte sich der Lebenslauf ab diesem Herbst 1528 zum Guten, doch das war bei all den anderen inzwischen evangelisch gesinnten Rottweilern so nicht erkennbar. Im Gegenteil, die Auseinandersetzung zwischen ihnen und den Altgläubigen spitzte sich immer mehr zu und wurde auch weit über die Stadt hinaus mit großem Interesse verfolgt. Zum einen spielte in den Augen des östereichischen Erzherzogs Ferdinand die Verteidigung des althergebrachten Glaubens in Rottweil eine wichtige Rolle, war doch die Stadt Sitz des kaiserlichen Hofgerichts und damit ein vertrauter und verlässlicher Justizstandort, der aus seiner Sicht nur auf altgläubigem Territorium verbleiben konnte, und zum andern zog die Rottweiler Reformationsgeschichte die Aufmerksamkeit der Schweizer Eidgenossenschaft auf sich. Seit 1519 war die Stadt durch einen ewigen Bund ein der Eidgenossenschaft zugewandter Ort, als Folge einer strategischen Entscheidung des Rates, zwischen Vorderösterreich und Württemberg ein Höchstmaß an Unabhängigkeit behalten zu können.
Noch in jenen Herbsttagen 1528 mischten sich demnach Schweizer Gesandte in die unentschiedene Lage in Rottweil ein. Der Rat der Stadt war mit deutlicher Mehrheit für die Treue zum traditionellen Glauben, wohingegen sich immer mehr Handwerker dem evangelischen Bekenntnis anschlossen. Während die Gesandten aus Bern und Zürich letztere unterstützen, traten Vertreter der innerschweizer katholischen Kantone für die Bewahrung des alten Glaubens ein. Es kam in den folgenden Monaten zu Amtsenthebungen, zu Konfiszierungen von Lutherbibeln, zu Predigtverboten und dergleichen mehr, bis schließlich die Evangelischen am 18. Juli eine Bittschrift durch neun Vertreter der Zünfte an den Magistrat vortragen ließen. Darin forderten sie die evangelische Predigt alten und neuen Testaments, entweder in allen Kirchen der Stadt oder zumindest in Heilig-Kreuz sowie das straffreie Singen und Bibellesen. Sie boten zudem an, einen evangelischen Pfarrer oder Kaplan zu entlohnen. Daraufhin versammelten sich vom 22. bis zum 24. Juli im Dominikanerkloster die altgläubigen Räte zusammen mit dem dortigen Prior Georg Neudorffer. Gut vorstellbar, wie in jenen Tagen die Gerüchteküche weit über die Klostermauern hinausschwappte und zur weiteren Eskalation der Lage beitrug. Tatsache ist, dass sich die Evangelischen genötigt sahen, sich ihrerseits zu versammeln und gar zu bewaffnen und umgekehrt auch die Altgäubigen ihre Anhänger zusammenriefen. Als schließlich die Überbringer des „evangelischen“ Bittschreibens mit einer Geldstrafe belegt wurden wegen ungebührlichen Benehmens, da entlud sich der Zorn gegenüber dem Bürgermeister und weiteren Räten, die sich vor den Handgreiflichkeiten der Evangelischen gerade noch ins Spital retten konnten. Angesichts dieses Vorfalls gab es noch eine kurze Phase der Einsicht – die Evangelischen erklärten sich um des Friedens willen bereit, die Buße zu zahlen – doch der Rat der Stadt machte dann nur wenige Tage später ernst und entließ mit seiner Mehrheit alle evangelischen Mitglieder und ließ evangelische Handwerker gefangennehmen bzw. der Stadt verweisen. Mit der anschließenden faktischen Vertreibung von etwa 400 Evangelischen aus Rottweil war die Reformation in Rottweil endgültig zum Scheitern gebracht. Die Evangelischen – obgleich als „Lutherische“ gebrandtmarkt hielten sie sich doch mehr an Zwingli denn zu Luther – blieben in jedem Fall ihren reformatorischen Grundeinsichten treu verbunden mit deutlicher Kritik vor allem an der althergebrachten Heiligen- und Marienverehrung. Dass die Schweizer bzw. Oberdeutsche Reformation zuvor solchen Einfluss auf die refomatorischen Bemühungen in Rottweil hatte, lag sicherlich in einem nicht geringen Maße an dem aus der Schweiz gekommenen Valerius Anshelm, der die Entwicklung in den großen Städten der Eidgenossenschaft bestens kannte und lag zudem überhaupt an der engen Verbundenheit Rottweils mit der Eidgenossenschaft.
In der „Amtlichen Sammlung der Eidgenössischen Abschiede“ finden sich außerordentlich interessante Belege für die dem Exodus der Evangelischen aus Rottweil vorausgehenden Ereignisse, so auch die ausdrückliche Kritik an Prior Neudorffer, der von „offener Kanzel Zwingli und Oekolampad und all ihre Anhänger Ketzer gescholten“ habe, so dass etliche aufgebrachte evangelische Bürger nun den „Mönch mit ... Streichen geschlagen haben“. (Kaiser, Jacob [Hg.],Amtlichen Sammlung der Eidgenössischen Abschiede, Zürich 1876, Bd. 4 Abt. 1b, S. 387)
Neudorffer brachte sich in bester Ordenstradition in die Auseinandersetzungen um die „neue“ Lehre ein. Er hatte sich bereits mit dem Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer eine heftige literarische Fehde geleistet und schrieb im Sommer 1527 eine Argumentationsschrift für das Verehren von Heiligenbildern, in der er Maria gar als „Göttin“ und „Miterlöserin“ bezeichnet. Neudorffer verteidigt vor dem aus seiner Sicht abschreckenden Beispiel des Bildersturms („der Kirchendiebe“) beispielsweise in Zürich oder Waldshut, die Heiligenbilder, durch die ja deutlich würde, wie sehr Gottes Gnade im Leben der Glaubensvorbilder gewirkt habe. Er bedient sich historischer Beispiele dafür, dass das In-Ehre-Halten von Heiligenbildern und ganz besonders des Marienbildnisses den Menschen geholfen habe, ob Kaisern oder einfachen Menschen. Und er führt eine breite biblische Argumentation, in der er eigens auf den hebräischen Bibeltext verweist und so seine Autorität als altsprachlich gelehrter Prediger noch deutlicher unterstreicht. Im Blick auf Rottweil selber wetterte Neudorffer zu dieser Zeit vor allem gegen den Pfarrer von Heilig-Kreuz, Konrad Stücklin, der inzwischen reformatorisch predigte. Auch in der Altstadt und in Lauffen konnte man in jenen Jahren lutherische Predigten hören. Allein die Dominikanerkirche jedoch blieb ein Hort des „wahren“ Glaubens. Zur Geschichte der gescheiterten Reformation in Rottweil gehört allerdings auch – und das ist besonders zu betonen –, dass es wohl keineswegs nur theologische Auseinandersetzungen waren, die den Verlauf jener Jahre in der Stadt bestimmten. Ganz gewiß war die Sorge um den Verlust des kaiserlichen Hofgerichts und des damit verbundenen wirtschaftlichen Schadens für weite Teile des Rates leitend. Zudem waren Rottweils Räte auf Lebenszeit gewählt und also sicherlich eher am Fortbestand einer bekannten Organisation des Gemeinwesens interessiert als an tiefgreifenden Veränderungen mit ungewissem Ausgang. Die Beispiele aus anderen benachbarten Reichstädten ließen, um es zurückhaltend zu formulieren, Zweifel aufkommen, das Bestehen vertrauter stadtpolitischer und wirtschaftlicher Strukturen unabhängig von einem Konfessionswechsel sichern zu können.
Insofern waren es eben durchaus auch wirtschaftliche und politische Gründe, die den Fortgang der Geschichte in den 20er und 30er Jahren des 16. Jahrhunderts und im Besonderen den des Dominikanerklosters bestimmten. Ab November 1530 wurde beispielsweise den Rottweilern für mehrere Jahre die Reichssteuer erlassen, gleichsam als Belohnung für die „Ausrottung der Lutherei“, und das hiesige Dominikanerkloster diente zur Aufnahme von Brüdern der andernorts aufgelösten Konvente, namentlich derer von Ulm.
Dass die Dominikanerkirche selbst sich dereinst zu einem Symbol der Ökumene entwickeln würde, das stand zu dieser Zeit noch in weiter Ferne, im Gegenteil, immer wieder wurde gerade hier gegen die Lutheraner gepredigt, so auch noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Besonders sprechende Belege sind die aus dem Jahr 1743 überlieferten Festpredigten, die aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums eines für die Stadt- und Kirchengeschichte überaus einschneidenden Ereignisses gehalten wurden.




Die Rettung der Stadt


„An dem Fest des Heiligen Martin hat MARIA in ihrer leblosen Statue ein Mitleiden gegenüber Rottweil gezeigt, so dass nicht wahr ist, was uns der Anhang Martin Luthers immer wieder vorgibt: Maria wisse nichts um uns.“ Mit diesem antilutherischen Zungenschlag versieht der Jesuit Joseph Sedlmayr seine Festpredigt am 12. November 1743 auf der Kanzel der Dominikanerkirche. Anlass war eine Festoktav, mit der das hundert Jahre zuvor in dieser Kirche geschehene „Wunder von der Augenwende“ gefeiert werden sollte. Dazu hatten die Dominikaner etliche Festprediger eingeladen, Lobreden auf Maria zu halten. Im Gedächtnis der Stadt allgemein und der Brüder vom Predigerorden ganz besonders blieb die entscheidende Wendung im Kriegsjahr 1643, die sie mit der Fürsprache und Wundertätigkeit Mariens in Verbindung brachten. Zwar hatten auch Rottweil die Schrecken und Wirren des Dreißigjährigen Krieges längst schmerzhaft erreicht, doch mit der französischen Strategie, die kriegerischen Auseinandersetzungen deutlicher ostwärts zu verlagern, kam Rottweil als „porte d‘entrée en Souabe“ (Einmarschtor nach Schwaben) in den Blick des zuständigen Marshalls Jean Baptiste Budes Graf von Guébriant. Die Rottweiler nahmen nun alle ihre Verteidigungskräfte zusammen und konnten tatsächlich am 26. Juli die französischen Truppen verjagen. Unter diesem Datum verzeichnet der liturgische Kalender das Gedächtnis der Heiligen Anna und also gewann dieser Gedenktag für die Rottweiler künftighin eine noch größere Bedeutung. Bis heute erinnert an die Heilige Anna ein Oberblattbild auf dem sog. Namen-Jesu-Altar in der Predigerkirche, das die Großmutter Jesu zeigt, wie sie ihre Tochter unterweist. Just an dieser Stelle wird wohl bis zur Barockisierung der Kirche jener Altar der Rosenkranzbruderschaft gestanden haben, an dem die Madonnenfigur verehrt wurde, die im späteren Verlauf des Jahres eine so außerordentliche Bedeutung gewonnen hat. Die Rettung der Stadt im Sommer war nämlich nur eine vorübergehende. Anfang November stand Guébriant mit seinen neu geordneten Truppen wieder vor der Stadt. In ihrer Not versammelten sich die Rottweiler allabendlich in der Dominikanerkirche im Rosenkranzgebet, woraufhin jene Veränderungen bei der Madonnenfigur von den flehenden Betern gesehen wurden, die als Zeichen des göttlichen Beistands gedeutet wurden. War das erste Zeichen in der Nacht vom 10. auf den 11. November, als die Madonna ihre Gesichtsfarbe verlor, noch eher ein ungewisser Hoffnungsschimmer, immerhin soll die Madonna auch einige Tränen vergossen haben, so keimte die Hoffnung am Nachmittag des 25. November mit Macht wieder auf, als die roten Gesichtswangen wieder zu sehen waren und - noch viel wundersamer - von den um Rettung bangenden Betern beobachtet wurde, die der Blick der Madonnenfigur sich in Richtung Tuttlingen und also dahin wendete, wo die rettenden Truppen tags zuvor die Entscheidungsschlacht gegen die Franzosen gewonnen hatten. Guébriant selber war schon vier Tage vorher nach einer schweren Verwundung vor den Toren Rottweils ins Dominikanerkloster gebracht worden, während seine Soldaten den Kampf mit der kur-bayerischen Armada an der Donau gesucht hatten. Guébriant verstarb noch am selben Tag im Dominikanerkloster. Sein Herz soll in der Predigerkirche beigesetzt sein.
Das Hauptfresko an der Decke im Kirchenschiff der Predigerkirche zeigt die Kämpfe vor dem Hochbrücktor und über der Stadtsilhouette die weinende Madonna. Sie umgibt das göttliche Licht, das von ihr aus in einem feinen Lichtstrahl bis auf die kleine Predigerkirche zwischen der großen Heilig-Kreuz-Kirche und der Kapellenkirche reicht.
Mit dem „Wunder von der Augenwende“ verband sich rasch die Erinnerung an die Rettung der Stadt und damit an ein wunderbares Ereignis in der Stadtgeschichte, so dass schließlich der bereits zitierte Festprediger Sedlmayr meinte betonen zu müssen: „MARIA ist so lang Rottweilisch / so lang Rottweil Marianisch: Rottweil ist Marianisch / ja besonders Marianisch.“ Einmal mehr erwies sich in den Augen der Rottweiler und insbesondere der Dominikaner die Predigerkirche als Hort des „wahren“ Glaubens. o y


Die Barockisierung


Mit der überaus erfolgreichen Feier des 100-jährigen Augenwende-Jubiläums allerdings reifte bei den Dominikanern der Entschluss, die Kirche umzugestalten und zu erneuern. Tausende von Pilgern machten deutlich, dass diesem Wunderereignis eine angemessenere bauliche Gestalt der Kirche entsprechen sollte. So oblag es dem damaligen Prior Hermenegild Linsenmann, die Baumaßnahmen vorzubereiten und einzuleiten. Inzwischen hatte sich die damalige zeitgenössische Architektur und der damit verbundene Stil des Barock längst in der Stadt durchgesetzt. Und die Predigermönche wünschten sich nun auch eine solche gegenwartskünstlerische Gestaltung. Nachdem die Klosterkirche Rottenmünster bereits Mitte des 17. Jahrhunderts (1661/64) als erste echte Barockkirche Rottweils errichtet wurde, die kleine Ruhe-Christi-Kirche um 1715 als barockes Kleinod weitestgehend aus der Hand Rottweiler Baumeister und Künstler entstanden war und zwischenzeitlich auch die Barockisierung der Heilig-Kreuz-Kirche (ab 1661) sowie der Kapellenkirche (ab 1733) erfolgte, sollte nun die Dominikanerkirche die letzte große Erneuerung im spätbarocken Stil erhalten. Im Frühjahr 1753 begann der Abbruch des bislang flachgedeckten Langhauses. Ein weites und lichtes Kirchenschiff sollte an seiner Stelle errichtet werden, gleichsam als barocke Wandpfeilerkirche mit einer kühn gespannten Stichkappentonne. Durch diese Deckentecknik war später an eine wirklich großflächige Bemalung zu denken, die keinerlei Rücksicht auf konstruktiv notwendige Jochgurte oder ähnliches zu nehmen hatte. Auf Grund der Gliederung durch die jeweils vier Wandpfeiler entstanden auf der Nord- und Südseite jeweils fünf Seitenkapellen, die jeweils bis zu ihren Quertonnen ohne Emporeneinbauten auch den Blick in den barocken Himmel freigeben sollten. Überhaupt konnte durch diese architektonischen Grundentscheidungen von jedem Platz der Kirche eine Sichtachse zum Hochaltar und damit zum ikonografisch-hermeneutischen „Schlüssel“ der Neugestaltung gewährleistet werden.
Leider sind keine Bauakten erhalten geblieben, mit Ausnahme eines sogenannten Malerey-Akkords vom 17. Juni 1754. Diese Vereinbarung zwischen dem Prior und dem wohl zu diesem Zeitpunkt favorisierten Maler Anton Morath von Blasiwald bei St. Basien führte jedoch nicht dazu, dass dieser tatsächlich denn auch in der neuen Predigerkirche ans Werk ging. Wie es dazu kam, dass dann im Frühjahr 1755 der Tomerdinger Joseph Wannenmacher mit seiner großartigen Deckenmalerei den entscheidenden künstlerischen Beitrag zur neuen Ausstattung lieferte, bleibt einigermaßen im Dunkeln. Selbstbewusst signierte er auf dem mittleren Deckenfresko als in Rom akademisch gebildeter Maler. Möglicherweise als 19-Jähriger kam er in die Ewige Stadt, nachdem er zuvor wohl die Oberelchinger Klosterschule besucht hatte. Die Tatsache, dass er später zahlreiche lateinische, griechische und hebräische Inschriften in seine Gemälde einfügte, begründet diese Vermutung als sehr wahrscheinlich, so dass über diese Station der wundersame Bildungsweg von der Dorfschule auf der Ulmer Alb bis an eine der rennomiertesten Akademien Europas erklärlich wird und auch der aus der Signatur sprechende Stolz verständlich ist.
Ehe wir uns den Leitgedanken der theologisch-ikonografischen Gestaltung und damit auch der Arbeit Joseph Wannenmachers im Einzelnen zuwenden, muss jedoch noch eine ganz andere Frage angesprochen werden. Bekanntlich gehören die Dominikaner ja zu den sogenannten Bettelorden und deshalb erscheint es höchst erstaunlich, dass in nur gut zweieinhalb Jahren ein so umfassender Kirchenumbau mit neuer künstlerischer Ausstattung auch finanziert werden konnte. Woher bekamen die hiesigen Bettelmönche denn die Mittel, um ein solch gewagtes Unternehmen in Angriff nehmen zu können, immerhin wurde mit über 25000 Gulden Gesamtkosten geplant? Allein der angesprochene Malerey-Akkord geht von 420 Gulden Maler-Honorar aus, wobei für einen Gulden ein Meister damals in der Regel rund zwei Tage zu arbeiten hatte. Freilich sollte Morath von diesem Geld auch noch einen Rottweiler Malersgehilfen sowie die Materialkosten bezahlen. Der allergrößte Teil der Finanzierung sollten Spendenmittel sein, doch dafür brauchte man sogenannte Patente - Beglaubigungsschreiben kirchlicher und weltlicher Autoritäten -, um in bestimmten Gebieten Sammlungen durchführen zu können. Dass der zuständige Konstanzer Diözesanbischof ein solches ausstellen würde, war anzunehmen, so dass man vom Schwarzwald bis nach Oberschwaben betteln gehen konnte. Dass zudem natürlich auch Spender aus der unmittelbaren Raumschaft, insbesondere die in der Rosenkranz-Bruderschaft organisierten Rottweiler einen erklecklichen Beitrag leisten würden, war fast schon selbstverständlich, doch als dann ein Jahr nach Umbaubeginn die Maßnahmen auf Grund fehlender finanzieller Mittel ins Stocken zu geraten drohten, setzte man den wohl denkbar größten Hebel in Bewegung. Rottweils ständiger Vertreter am Wiener Kaiserhof übermittelte die Anliegen der Rottweiler Dominikaner und so erhielt Prior Linsenmann tatsächlich auch ein Patent der Kaiserin Maria Theresia, so dass seine Predigerbrüder nun für ein Jahr lang in ganz Vorderösterreich sammeln gehen durften. Aus lauter Dankbarkeit ihr gegenüber gaben die Rottweiler Mönche später sowohl dem Deckenfreskanten, Joseph Wannenmacher, als auch dem Altarbildmaler, Meinrad von Au, den Auftrag, die so wohlwollend gesonnene Kaiserin in der Predigerkirche zu verewigen. Die durch das kaiserliche Patent mögliche Akquise neuer Spenden war dringend notwendig geworden, war doch im Frühsommer auch der Dachstuhl mitsamt dem gotischen Gewölbe über dem Chor abgetragen worden. Die Außenmauern ließ man hierbei stehen, ebenso die Sakristei, so dass sich gerade hierdurch noch bis heute ein Eindruck der ursprünglichen gotischen Kirche gewinnen lässt, ob es der beeindruckende sieben/zwölftel Chorschluss ist oder die von außen noch erkennbaren wesentlich über die heutigen Fenster hinausragenden gotische Laibungen. Desweiteren lassen die Reste des gemalten Passionzyklusses an der Innenwand des Chores - über dem Zugang von der Sakristei her ist eindeutig noch eine Gethsemaneszene erkennbar - eine Vorstellung davon erahnen, welche Funktion die Malerei an den Wänden des Oratoriums einst hatte. Was später nach der Barockisierung vor allem an der Decke Platz fand, zu gotischer Zeit war sie noch deutlich gleichsam auf Augenhöhe des Betrachters: die bildgewordene Predigt der Predigerkirche. Was später kaum mehr Aufnahme in das ikonografische Programm der barocken Gestaltung gefunden hatte, vom ausgehenden 13. Jahrhundert bis Mitte des 18. Jahrhunderts war die biblische Überlieferung des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu das Hauptthema des bildkünstlerischen Ausdrucks hier in der Predigerkirche. Mit dem Umbau in jenen wenigen Jahren 1753-55 hat also nicht nur eine formale Neugestaltung stattgefunden, sondern auch eine erhebliche inhaltliche Veränderung. Die Ausmalung des Chorraums ist dafür ein beispielhafter Beleg.=Ib


"Und das soll eine evangelische Kirche sein?"


Diese Frage, die sich so vielen Kirchenbesuchern beim ersten Anblick des Innenraums der Rottweiler Predigerkirche aufdrängt, mag auch die Eheleute Katharina und Michael Maurer umgetrieben haben, als sie am 9. April des Jahres 1806 ihren Sohn Carl Jakob Friedrich zur Taufe in die Predigerkirche brachten. Der kleine Carl war am Karsamstag geboren worden und wurde nun als wohl erstes Kind überhaupt in der Predigerkirche drei Tage später getauft. Zwischenzeitlich feierte die hiesige evangelische Garnisionsgemeinde zum ersten Mal das Osterfest in der früheren Dominikanerkirche. Sie war knapp vier Jahre zuvor säkularisiert worden. Am 29. Dezember 1802 übermittelte der württembergische Hofkommissär Carl von Langen dem letzten Dominikanerprior Alexius Seyfried und seinen damals noch neun Mitbrüdern, dass ihr Kloster aufgehoben würde. In der Rückschau sollte es dann einmal heißen: „Der Dominikanerprior und sämtliche weitere Klosterangehörigen haben sich dem Aufhebungsbefehl gleichbald unterworfen und ebenso haben sich die Kapuziner zur Aufnahme der Dominikanerbrüder in ihr Kloster mit Bereitwilligkeit gefügt und letzteren die besten Zellen und Zimmer eingeräumt; was konnten sie auch anderes machen.“ (Marquart, Alois: Das ehemalige Dominikanerkloster zu Rottweil, in: Rottweiler Heimatblätter Nr. 14, Rottweil 1928, S. 1) Mit dieser Notiz ist die tatsächliche Dramatik dieses Beschlusses und der Umsetzung noch am selben Tag kurz vor der Jahreswende 1802/03 allenfalls angedeutet. Denn einerseits war damit eine über ein halbes Jahrtausend währende Klostergeschichte zu Ende und andererseits stand sofort die Frage im Raum, was mit der für die Rottweiler Stadtgeschichte und Volksfrömmigkeit so zentralen Figur der Madonna von der Augenwende geschehen sollte. Sie hatte für die Rottweiler Bürgerschaft in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges eine ganz herausragende Bedeutung gewonnen und gehörte seitdem unverzichtbar in den Mittelpunkt der hiesigen Marienfrömmigkeit und weit darüber hinaus. Sie dürfte unter keinen Umständen „säkularisiert“ werden, weshalb wohl an jenem letzten Mittwoch des Jahres 1802 nicht nur „einige junge Burschen und Bürger das Maul zum Schimpfen“ aufgerissen haben (ebd.). Die gerade begonnene Prozession zur Überführung des Madonnenbildes von der Klosterkirche in die Pfarrkirche wurde von diesen engagierten Rottweilern gestoppt, so dass dieser Vorfall zu einer eiligst einberufenen Sitzung des Magistrats geführt hat. Bürgermeister Burkhard trat dann wieder auf Carl von Langen zu und „bat, es möchte das Vorgefallene nicht der übrigen Bürgerschaft übel gedeutet werden; sie würden – wenn dies gütigst erlaubt werden wollte – dieses Marienbild abholen und selbst aus der Dominikanerkirche weg in die Pfarrkirche übertragen lassen; sie würden es mit größtem Danke anerkennen, wenn man der Einwohnerschaft dieses Bild, zu dem der Rottweiler Katholik eine Anhänglichkeit habe, belassen wollte. Diesem vernünftigen Verlangen glaubte der württ. Beamte entsprechen zu dürfen und so wurde das Marienbild in die Pfarrkirche überführt. Die Dominikanerkirche wurde hierauf geschlossen.“ (ebd.)
Mit großer Wahrscheinlichkeit haben zu dieser Zeit bereits erste evangelische Gottesdienste in Rottweil stattgefunden, nicht jedoch in der Predigerkirche. Mit der Besetzung der bis dahin freien Reichsstadt am 11. September 1802 kam erstmals seit der „gescheiterten“ Reformation 1529 wieder eine größere Zahl von Evangelischen in die Stadt, freilich als Angehörige der württtembergischen Besatzungskraft. Für sie musste nun nicht zuletzt ein Gottesdienstraum gefunden werden. Die Suche verlief anfänglich zögerlich – Anfragen mit Blick auf die einigermaßen schlicht ausgestattete Klosterkirche der Kapuziner bei deren Guardian aber auch beim Dekan von Heilig-Kreuz wurden abschlägig beschieden, so dass dann schließlich der Magistrat der Stadt seinerseits am 28. Oktober 1802 entschied, dass den Evangelischen nun doch die Kapuzinerkirche angeboten wurde, da diese „angemessen und anständig“ und „ohne alle auffallende innerliche Verzierung“ sei (ebd.). Möglicherweise wurde also schon am Reformationstag 1802 dort Gottesdienst gefeiert. Dass es für die Evangelischen nicht allzu lange bei diesem Gottesdienstort blieb, hängt vielleicht damit zusammen, dass sie einserseits sich den Kirchenraum mit den Kapuzinern teilen mussten und andererseits am Friedrichsplatz ja ein neues Gebäude gerade noch unter reichsstädtischer Bauherrschaft errichtet worden war, das Kaufhaus, das mit großen Sälen für eine gewisse Zeit Raum für gottesdienstliche Feiern bot. Auf die Dauer konnte aber auch das keine Lösung sein. Die ergab sich erst, als der württembergische Landesherr, der zu Beginn des Jahres 1806 die ihm von Napoleon angebotene Königswürde angenommen hatte, jetzt in Rottweil eine Garnison einrichtete und das ehemalige Dominikanerkloster als Standort wählte und infolgedessen die ihm durch die Säkularisation zugesprochene Dominikanerkirche als neue evangelische Garnisonskirche. Und so war es ganz gewiss kein Zufall, dass der erste Täufling dieser Kirche am Friedrichsplatz als dritten Vornamen den des neuen Königs erhielt, Friedrich.
Der damalige „evangel.-lutherische Pfarrer zu Rottweil“, Johann Gottfried Wilhelm Gerber, brachte sicherlich ein Taufgeschirr mit, denn ein festes Taufbecken gab es in der ehemaligen Klosterkirche nicht und sollte es auch später über viele Jahrzehnte nicht geben. Erst mit dem Einbau eines neogotischen Altarblocks kam vermutlich ein Taufstein in die Predigerkirche. Dass diese Einbauten stilwidriger Art waren, ist aus heutiger Sicht unstrittig, weshalb sie schon im Vorfeld der letzten großen Kirchenrenovierung (1970-74) wieder entfernt wurden, doch bleibt es insgesamt betrachtet ein historischer Glücksfall, dass trotz der evangelischen Nutzung dieses so bedeutsamen spätbarocken Gesamtkunstwerks kaum etwas von der Ausstattung aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zerstört wurde.
Tatsächlich abhanden kamen zwei Seitenaltäre - der Altar des Heiligen Nepomuk und der des Heiligen Erasmus -, allerdings noch ehe die Predigerkirche 1818 von der königlichen Domänenverwaltung zur evangelischen Stadtpfarrkirche erhoben wurde. In Rottweil Neufra wurde 1813/14 die St. Dionysius-Kirche neu errichtet und für die dortige Kirche durften sich die Neufraer diese zwei Altäre aus der Predigerkirche holen. Leider wurden sie von dort aus jedoch um 1967 über den Kunsthandel veräußert. Der Nepomuk-Altar tauchte bald schon in Horgenzell bei Ravensburg auf, während der Erasmus-Altar in Hochwang bei Günzburg eine neue Bleibe fand. Dass in der Predigerkirche dennoch ein Blick auf die Motive dieser Altarbilder möglich ist, ist dem Rottweiler Kunstfotografen Fitz Rapp zu verdanken, der für zwei kleinere leere Altaraufbauten fotografische Reproduktionen des Nepomuk- und des Erasmusaltars anfertigte.

Mit der Einweihung neuer Prinzipalien am 29. Juni 2014, am Tag der Kirchenpatrone Peter und Paul, wurde nun ein neues Kapitel in der Geschichte dieser Kirche aufgeschlagen. Der Wunsch nach einem festen Taufort in Verbindung mit den anderen Prinzipalien – Altar und Ambo – in einer einheitlichen Gestaltung konnte nach einem Künstlerwettbewerb, aus dem der Entwurf des Stahlbildhauers Jörg Bach (Mühlheim an der Donau) siegreich hervorging, verwirklicht werden. Damit endete die Zeit transportabler Taufschalen wie einst zu Pfarrer Gerbers Zeiten.

(Text: Pfr. Marcus Keinath, Rottweil)


Weiterführende Literatur

Vom Bockshof aus ein gotischer Chor

ausen ROSA - innen (jedoch) GOLD


Gerne verweisen wir auch auf:

Eugen Ritter: Rottweils Gotteshäuser, Rottweil 1938, S. 43-54

Franz Betz: Die frühere Dominikanerkirche, Rottweil 1957.

Konrad Hecht: Die Rottweiler Dominikanerkirche in der Gotik, Kleine Schriften des Stadtarchivs Rottweil 3, Rottweil 1974.

Winfried Hecht: Das Dominikanerkloster Rottweil (1266-1802), Veröffentlichungen des Stadtarchivs Rottweil, Bd. 13, Rottweil 1991.

Winfried Hecht: Kirchen in Rottweil, Regensburg 9. Aufl. 2002, S. 28-39.